22. Dezember 2019
Gespräch mit den Eltern

„Krähe war der Bauunternehmer, der dieses Haus hat bauen lassen.“

Mutter
„...und der hatte zwei Töchter. Und die Eine war mit dem Lehrer S. verheiratet.“

Vater
„Ich nehme an, der hat selber gebaut.“

„Und den hattest Du noch in der Schule.“

Mutter
„Den habe ich in der Schule gehabt. Und die Jungs von denen leben noch hier in Könnern.“

„Und warum habt ihr in dem Haus gelebt?“

Mutter
Das wurde, die wurden enteignet. Die waren doch drüben und dann gehörte es der Stadt.“

„Ihr seid wann dort eingezogen?“

Vater
„Als Ralf geboren wurde. Der war noch ganz klein. 1980 ungefähr. Wir haben zwei Jahre im Ofenwerk gewohnt mit Kathrin und sechzehn Jahre haben wir dort gewohnt.

Mutter
„Wir sind zugezogen und haben uns gemeinsam den Flur geteilt mit Fräulein W. Die hatte das Bad, euer Zimmer und das Zimmer oben.“

„Das Bad war ihre Küche und die Toilette war das, was wir als Abstellkammer genutzt haben.“

Mutter
„Die haben wir gemeinsam genutzt. Da war ja noch das Stück von dem Abstellraum. Das gehörte zur Toilette.“

„Mein Zimmer war ihr Wohnzimmer und oben das Zimmer, das Ralf später hatte ihr Schlafzimmer?“

Mutter
„Genau. Aber sie hat nie dort oben geschlafen. Sie hat es als Abstellraum genutzt. Weil es zu umständlich gewesen wäre.“





22. April 2020
Gespräch mit Peter S., dem Enkel des Erbauers Fritz Krähe

„Das war ein großes Grundstück zu seiner Zeit. Das Grundstück zog sich hin bis zu der heutigen Reifenfirma. Das wurde schon mal in DDR-Zeiten an den „Reifen Hallmann“ verkauft. Das weiß ich noch, weil dann irgendwann in den 90ern, in den 90ern ging das los mit dem Verkauf des Hauses. Das hat sich auch recht lange hingezogen. Da haben wir Kinder eigentlich wenig davon mitbekommen, weil das eigentlich meine Mutti und deren Schwester, angestoßen von meiner Tante, den Verkauf mal so in die Wege zu leiten. Da war dann ein Schausteller aus den alten Bundesländern. Also das war ne Type. Ich habe den zwei Mal gesehen. Das war ganz ganz gruselig. Da haben die das für einen Apfel und ein Ei verkauft. Obwohl nicht einmal die volle Zahlung vollzogen wurde. Da sind wir dann Anwaltstechnisch noch hinterher gerannt. Das war ganz, ganz böse und ganz schlimm. Und seitdem steht es ja da und ist verfallen.
Ich weiß, dass der „Schnurz“, der Reifenwechsler, der hatte sich dafür interessiert und hat es aber auch nicht gekauft, weil es das zu dubios war in den Hintergründen.“



3. Juli 2020

Kathrin D. im Gespräch mit Willi B. und Regina D.


Willi B.

„Du kannst auch Du sagen. Klar, wir sind doch verwandt.“

Kathrin D.

„Du wurdest am 18. Juli 1925 geboren. Wo bist Du geboren? Auch in Siegenthal?“

Willi B.

„In Siegenthal, ja. Ich bin das fünfte Kind von meinen Eltern. Wir waren elf Kinder. Elf Kinder. Aber von zwei Frauen.“

Kathrin D.

„Aber warum von zwei Frauen?“

Willi B.

„Die erste Frau ist gestorben. Im ersten Weltkrieg war mein Vater verheiratet mit der. Und die hatten zwei Kinder. Ein Junge und ein Mädchen. Der Junge war von mir 13 Jahre älter. Er war Jahrgang 1912 und ich bin Jahrgang 1925. Die erste Frau von meinem Vater bekam während des ersten Weltkrieges eine Lungenentzündung. Die Ärzte waren alle fort im Kriege. Da gab es keine Hilfe und da ist die gestorben.“

Kathrin D.

„Bist Du in Siegenthal zu Hause geboren? Oder bist Du im Krankenhaus geboren?“

Willi B.

„Das Krankenhaus war weit weg. Es war in Przemysl, war ganz weit weg. Das war Östereichisch-Galizien. Das gehörte früher zu Österreich. Vor dem ersten Weltkrieg. Und da gab es keine Kneipe, ein Geschäft nur, keine Gastwirtschaft, wie heutzutage in jedem Dorf, das gab es dort nicht.

Und ich war öfters bei Thea ihre Eltern. Der Vater war Schuhmacher.“

Kathrin D.

„Also von meiner Oma Thea der Papa war Schuhmacher?

Ich weiß nicht, ist es der Mann hier, guck mal. Ich habe hier ein altes Foto. Ich weiß nicht, ob du da noch was erkennen kannst.“

Willi B.

„Ich kann ganz schlecht sehen. Es könnte sein.“

„Ukrainer. Das sind Ukrainer. Er war Schuhmacher von Beruf. Und die Sophie, deine Oma ihre Mutter war Ukrainerin.“

Kathrin D.

„Die waren Ukrainer, okay.

Kannst Du Dich noch an ihren Namen erinnern? Hieß sie Horbanik oder Horbanek?“

Willi B. „Hljynienskyj.“

Kathrin D.

„Eustachy hieß Hljynienskyj.“

Willi B.

„Die Oma, also Sophia, ist eine geborene Horbanik. Es waren sechs Mädchen und zwei Jungs. Der Vater von der Sophie, Zoskja hieß sie früher, der war auch Musiker. Der hat jeden Tanz hat er gespielt. Der war Musiker. Die haben ein Pferd gehabt, eine Kuh. Ich war öfters dort gesessen, bei dem Schuhmacher, bei Zoskja, Sophie ihren Mann.“

Kathrin D.

„Eustachy, stimmt das? Hieß er Eustachy?“

Willi B.

„Nee. Staschku.

Die Polen hatten Staschek gehabt. Da waren viele Polen. Da waren auch viele Ukrainer.

Das Dorf, rechts und links von der Hauptstraße waren alles Deutsche. Das ging von Zanok bis nach Lemberg. Und seitlichere Dörfer, die waren angeschlossen auch an Siegenthal, waren viele Ukrainer.

Der war auch Ukrainer, Zoskja ihr Mann.“


Kathrin D.

„Und wie haben die gesprochen?“

Willi B. „Ukrainisch.“

Kathrin D.

„Und Du hast Ukrainisch gesprochen...“

Willi B.

„Ich kann Ukrainisch, Polnisch und auch Deutsch. Wir sind geborene Deutsche. Meine Urgroßeltern stammen aus der Pfalz.“

Kathrin D.

„Genau, das habe ich gelesen. Galiziendeutsche.“

Willi B.

„Die sind aus der Pfalz. Damals Kaiser Wilhelm hat Kaiser Franz Joseph hat die Leute hingegeben. Zehn Familien in dem Dorf, vier sind fort und sechs sind geblieben. Von den sechsen bin ich mit da.

Und seitlich waren alles Ukrainer und Polen. War nicht viel. Und zwei Juden im Dorf. Die hatten Geschäfte gehabt. Das war alles wie eine Familie, hätte ich gesagt. Die ganzen deutschen Leute waren miteinander verwandt. Denn die Anderen war ja weit weg.

Da waren vier Dörfer. Die hatten eine Kirche gehabt. Siegenthal, Obersdorf, Steinfels und Bandrow gehörten alle zu Bandrow. Das war alles weit auseinandergezogen. Da gab es viel Wald. Alles Wald. Keine Industrie. Die Leute haben nur im Wald gearbeitet. 3 km von Siegenthal entfernt war die Stadt. In der Stadt waren drei Dammsägen. Und da haben die Leute, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig waren...

War alles bergiges Gelände. Mit Radschleppern, mit Traktoren hätte man dort nichts machen können. Alles nur Pferde. Zur Not mit der Raupe noch. Alles bergiges Gelände.“

Kathrin D.

„Waren das dann schon die Karpaten? Oder Vorläufer?“

Willi B.

„Vorort von den Karpaten. Ganz richtig.“

Kathrin D.

„Meine Oma Sophie, oder Zoschka war mit ihm verheiratet.“

Willi B. „Ja.“

Kathrin D.

„Und wie lange? Weißt Du, wann die geheiratet haben?“

Willi B.

„Nee, ich weiß nur. Ich habe als Junge, weil wir doch elf Kinder waren. Und er war Schuhmacher. Er wohnte 900, 1000 m von uns weg. Da habe ich dort gesessen, immer für meine Geschwisters Schuhe, Stiefel, alles, habe ich da gesessen bei dem und er hat geschustert. Das war ein schmales Zimmer. Ich hätte gesagt, von hier bis da (wie Reginas Terras- se). So schmal. Da war noch ein Bett, ein Fenster vorn. Aber es war lang, das Zimmer. Und er saß vorne am Fenster und hat geschustert und ich saß immer daneben. Ich konnte ukrainisch. Und saß daneben mit dem Schuhwerk von meinen Geschwistern und meiner Mutter. Im Winter gab es großen Schnee, große Kälte. Da ging es nur mit Stiefeln. Von wegen Halbschuhe. Und da habe ich immer da gesessen bei ihm am Fenster. Und er hat geschustert. Im hinteren Zimmer war nur ein Bett. An der Seite war ein Ofen.“

Kathrin D.

„Hat er da gelebt in dem Zimmer?“

Willi B.

„Die haben da geschlafen. Alles. Das waren zwei Zimmer. Wo die Oma gewohnt hat, Sophie ihre Mutter, das war im selben Haus. Das war ein großes Zimmer. Das war vielleicht gebaut früher als Abstellraum. Und die hat nachher da drinnen gewohnt. Haben sie Dielung reingemacht. Fenster. Er saß immer am Fenster. Staschku Hljynienskyj.

Und Sophie saß immer hinten und hat auch erzählt. Mit mir auch. Nachher kam Heinrich Emmel.


Er war verliebt und verlobt, hätte ich gesagt. Mit einer Bauerstochter. Er hat einen Freund gehabt. Die wohnten nicht weit auseinander. Heinrich und sein Freund. Die hatten die gleichen Mützen gehabt, die gleichen Johten. Die waren beide den Töchter von einem Großbauern versprochen. Eine war größer. Die Katherina, die hat einen anderen genom- men. Und Heinrich, der sollte Marie. Marie war ein bisschen kleiner. Aber schmucke Weiber waren das. Na ja, ich war vierzehn Jahre alt. Irgendwie hat sich da einer reingemischt. Und hat da gestenkert. Heinrich kriegte nämlich einen Leistenbruch. Und da haben sie gedacht, wunderbar das wird invalide. Dann haben sie nachher der Tochter abgeraten, sie soll von ihm lassen. Na ja, wenn Zwei verliebt sind, die gehen ganz schlecht auseinander, wenn sie sich gerne ha- ben. Heutzutage ist es was anderes. Da gucken sie nach einem anderen Mann, nicht wahr, unverheiratet. Aber zu der Zeit war das nicht so. Na ja. Da hat der gestenkert. Und da haben sie ihr gesagt, sie solle aufhören mit dem. Und das wollte sie nicht. Und das war im Herbst 37. Es war schon so nebelig. Und da war ein Tanz gewesen. Und sie wollte nicht auseinandergehen mit dem. Da sind sie hinterher, sie hatte ihm gesagt, er solle sich eine Pistole besorgen. Und beide wollten sich das Leben nehmen.“

Kathrin D.

„Wer soll sich jetzt das Leben nehmen? Heinrich und?“

Willi B.

„Und seine Freundin Marie. Die hieß Marie. Marie Schweitzer. Die passten so zusammen. Auch von der Größe so, pass- ten sie zusammen. Dann waren sie verliebt. Aber weil er einen Bruch hatte, haben die gedacht, er wird invalide und er kann nicht. Sie hat ihm gesagt: „Besorge eine Pistole! Und dann nehmen wir uns beide das Leben.“

Da war ein Tanz gewesen und er hat sich eine Pistole besorgt. Dann sind sie gegangen beide nach Hause. Sie hatte noch ein bisschen gefroren im Herbst 37. Da hat sie gesagt: „Ich gehe rein. Ich habe da noch 20 Mark daliegen.“ Zloty gab es da früher. Und da haben sie gesagt, ich lege das Geld so hin. Ich habe es so versteckt, dass es keiner findet. Aber wenn ich tot bin, da finden sie es nachher nicht mehr. Sie hat das Geld so hingelegt, so dass sie es sehen und hat sich noch eine Strickjacke angezogen. Da sind sie durch das ganze Dorf gelaufen und am Dorf waren große Wälder. Da sind sie in einen Wald hineingebogen. Ein Stückchen. Es muss um Drei in der Nacht gewesen sein. Aber es war nur sein Glück, dass die beide da geschrieben haben. Sie haben geleuchtet. Einer hat geleuchtet. Die haben alles aufgeschrie- ben. Sie hat geschrieben. Er hat geschrieben, dass sie sich wegen dem Geld dahin gelegt hat. Die sollten die Beiden in ein Sarg legen.“

Kathrin D. „Abschiedsbriefe.“

Willi B.

„Abschiedsbriefe. Und dann hat er die angeschossen. Wenn er links getroffen hätte, wäre sie weg. Im Herzen. Aber er hat rechts direkt durch die Brustwarze. Und sie ist hingefallen. Und er hat sich auch angeschossen. Auch wieder durch die Brust. Und ist hingefallen. Er war nur so, er hatte die Pistole weit weggeschmissen. Und die ist nachher aufge- standen und ist losgelaufen. Die ganze Strecke wieder zurück in das Dorf hinein. Und da war ein, eine Mutter hätte ich gesagt, die hat einen Sohn gehabt, der Vater war gestorben. Und die hat da geklopft früh um halb vier herum. Das muss um Drei passiert gewesen sein. Um halb Viere rum. Nun ja, der hat die Tür aufgemacht. Und sie hat sich an der Türklinke festgehalten. Und konnte nicht mehr weitergehen. Die hatte so eine hohe Schwelle gehabt. Da ist er rein. Da hat er sie reingenommen. Und dann hat sie gesagt, dass Heinrich die angeschossen hat und er selber dort und dort liegt. Der Mann, der Sohn da, der war schon älter. Und dann ist der losgelaufen zu ihren Eltern und hat sie geweckt in der Früh um Viere. Hat gesagt: „Eure Tochter ist angeschossen und liegt bei mir zu Hause.“

Die Tochter war ein bisschen... Also der ihre Mutter und mein Vater waren Cousin und Cousine. Und sind sie durch die großen Wälder. Jagd haben sie viel gemacht. Das waren stattliche Wälder. Da haben sich die Leute irre gelaufen. Wir hatten so einen Wagen gehabt, wo mein Vater früher immer zur Jagd gefahren ist. Die Jäger und Förster. Und ihr Vater kam schon quer über die Wiesen zu uns, die wohnen ein Stückchen weg von der Hauptstraße. Da kam ihr Vater schon quer herübergelaufen und hat bei uns geklopft, früh um Viere.„Jochen!“ Mein Vater heißt Jochen.„Jochen, steh auf. Kann ich Deinen Wagen kriegen?“ Der Sohn von ihm kam schon mit den Pferden drumherum zu uns hin. Da hat er gesagt, „Dein Schwager hat meine Tochter angeschossen. Sie liegt jetzt bei mir zu Hause. Und er ist im Walde. Der Vater von meiner Mutter ihren Halbbruder. Das war von meiner Mutter der Halbbruder. Der Vater ist da reingegangen und hat den Wagen gegeben. Da konnte man sich hinlegen und so, damit ist man zur Jagd gefahren. Da haben sie Wild hingelegt. Wildes Vieh und alles so. Und kam mein Vater rein. Da hat sie zur Mutter gesagt. „Du, Heinrich hat Marie angeschossen. So und so. Sie haben jetzt geklopft. Den Wagen habe ich rausgegeben.“ Und meine Mutter hat sich angezogen und ab. Über einen Kilometer mussten sie laufen. Bei ihrer Stiefmutter sollte sie es sagen, weil ihre eigene Mutter, da war sie drei Jahre alt, als ihre eigene Mutter verstorben ist. Naja, da ist sie dann hin, hat sie geweckt und gefragt, „Ist Hein- rich hier?“ „Naja Heinrich ist nicht da.“ Und da war dann sein Bruder dort, Jacob. Hat meine Mutter gesagt, „Er hat die Schweitzer Marie angeschossen. Und er selber liegt dort und dort.“ Dann ist Jacob aufgestanden.

Der war nicht lange bei uns zu Hause, der Bruder, der war als Kind im Kinderheim in Stanislau.

Dann hat er sich den Mantel angezogen, weil es so kalt war, so nebelig im späten Herbst. Dann ist der los.

Viele Leute, das ging wie ein Feuerwerk, viele Leute, junge Kerls, mein Bruder auch, der war dreizehn Jahre älter wie ich. Der ist auch aufgestanden, angezogen und sind sie in den Wald gegangen. Mein Vater ist mitgegangen. Als sie in den Wald hineinkamen, sind sie herum gegangen und haben ein Stöhnen gehört. Da hatte er eine Johte angehabt, hatte


sich so zugedeckt. Und hat gestöhnt. Da waren auch ein paar Frauen dabei. Unsere Lehrerin war auch dabei. Das ging wie so ein Feuerwerk umher.“

Kathrin D.

„Wie alt war er da denn eigentlich so? Heinrich, was meinst Du?“

Willi B.

„Ach, der war fast 26, 27. Also älter schon. Er war vielleicht noch älter da. Was wollten sie da machen. Dann hat sein Bruder Jacob, seinen Mantel ausgezogen. Dann haben sie ihn auf den Mantel gelegt. Und haben rechts und links die Leute, viele junge Kerls waren dabei, haben sie ihn getragen. Bis ins erste Haus. Aus dem Wald heraus. Und mein Vater hat geschimpft. „Den soll ich noch tragen? Den trage ich nicht. Der erschießt die Leute und dann soll ich den noch tragen.“ Und der Vater war der Schwager sozusagen.“

Dann kamen sie an das erste Haus. Das war ein Pole. Da sind sie bei den Polen hin und haben sie gesagt, soundso sie bringen den Verwundeten hierher, ob er denn nicht ins Krankenhaus fahren könne, in die Stadt zum Arzt und dann ins Krankenhaus. Naja, der hat das Pferd eingespannt an den Wagen, haben sie ihn drauf gelegt.

Wo sie bei denen ran kamen, an deren Haus, wo das Mädel gewohnt hat. Da sind sie raus, wollten sie den Todschlagen, was weiß ich, hätten sie da gemacht. Die haben doch nicht gewußt, dass sie eingewilligt hatte mit dem Ganzen. Da hat der Pole gesagt, „Das ist meine Ladung auf dem Wagen. Da dürfen sie nicht rangehen. Wer da rangeht, kriegt es mit mir zu tun.“

Sofort haben sie ihn ins Krankenhaus gebracht und der Polizist, das war seine Rettung...

Und da war ein Polizist, der ist rausgegangen in den Wald und hat da die Pistole gesucht. Da hat er viele Briefe ge- funden. Abschiedsbriefe, die die Beiden geschrieben hatten. Und das war seine Rettung. Da haben sie ihn nachher... Er war im Krankenhaus. Wo er herausgekommen ist, kam die Gerichtsverhandlung. Und der Polizist hatte es gleich dem Gericht gegeben. Das ganze Schreiben, was die Beiden da geschrieben hatten. Na ja, da war die Gerichtsverhandlung, aber er hat nichts gekriegt, keine Strafe. Er hat nur eine Strafe gekriegt, weil er... wegen der Pistole. Er durfte keine Pistole haben.

Das war 1937. Da war ich zwölf Jahre alt.“

Regina D.

„Opa hat immer gesagt er war im Krieg. Er war in Frankreich in Gefangenschaft.“

Willi B.

„Nee! Der war kein Soldat! Der war bei der Eisenbahn!“

Regina D.

„Und da war er in Frankreich.?“

Willi B.

„Da war er in Frankreich und ist nachher zurück nach Deutschland.“

Regina D.

„Der hat mir immer von Frankreich erzählt.“

Willi B.

„Ja, der war da als Eisenbahner. Der war kein Soldat.“

Regina

„Er hatte immer die dunkelblaue Bahneruniform. Ich kenne den Opa gar nicht anders.“

Willi B.

„Das ist eine Eisenbahnuniform.“

Regina D.

„Darum war er auch hier gleich bei der Eisenbahn. Darum wusste er auch, wann die Transporte gehen, bei der Flucht. Wann der Zug geht. Und die waren alle bei der Eisenbahn. Die Anderen. Börstler und Keller, die alle hier in Könnern gelandet sind.“

Willi B.

„Ja, Ja. Das waren die. Die waren keine Soldaten. Die waren bei der Eisenbahn. Aber wer das nicht war, wurde Soldat. Ich war 17 Jahre alt. Ich war ein Kind von 17 Jahren.“

Kathrin D.

„Kannst Du Dich an meine Oma Thea erinnern? An Dorothea?“


Willi B.

„Die war so ein kleines Mädchen, wo ich da gesessen habe. Ich werde weiter erzählen.

Weil Heinrich, als er aus dem Krankenhaus herausgekommen ist, da hat ihn keiner angeguckt. Die Jugend wollte von ihm nichts mehr wissen. Weil sie nicht wussten, ob er schuld war. Keiner hat von den Briefen gewusst. Aber nachher, wo die Gerichtsverhandlung kam, da kam das heraus. Da hat er nichts gekriegt. Nur die Strafe für die Pistole. Aber sonst hat ihn keiner groß angeguckt.

Er lebte nur 300 m weg bis wo Sophie gewohnt hat. Da ist er immer hingegangen. Bei dem Schuhmacher. Da hat er da immer gesessen. Und ich saß da auch mit den Schuhen. Aber fast jeden zweiten, dritten Tag musste ich dahin bei dem Schuhmacher. Da hat er gelacht und erzählt. Na gib mal das Geld her.

Und Heinrich wusste nicht wohin und ging auch dort hin. Und er saß nachher mit Sophie, mit Zosia, saßen sie beide hinten, war ein schmales Zimmer. Und da saßen sie hinten, beide, und haben sich da unterhalten. Er konnte Ukrai- nisch. Die konnte kein Wort Deutsch.“

Kathrin D.

„Meine Oma konnte kein Deutsch, also meine Uroma.“

Willi B.

„Die Oma war noch ein Kind. Ein kleines Kind war sie doch.“

Kathrin D.

„Also Sophie ist auch Ukrainerin.“

Willi B.

„Die ist richtige Ukrainerin. Und ihr Mann, der Schuhmacher, der war auch Ukrainer. Staschku. Aber die hat, ich möch- te mal sagen. Die hat auch ein bisschen Schuld. Sie hat sich auf den Heinrich eingelassen. Die war wie aus dem Ei gepellt. Ja. Ein einziges Kind haben sie gehabt. Thea. Die hieß Dorka. Da haben sie später Dorothea daraus gemacht. Nachher. Aber richtig Dorka hieß sie. Und Sophie war Zoschka. Alles Ukrainer.“

Kathrin D.

„Und meine Oma lebte dort auch in dem Zimmer, wo er gearbeitet hat?“

Willi B.

„Ja. Die hatten hier so ein Bett gehabt Einen Ofen an der Seite. Das waren so schmale Decken. Und er saß am Fenster auf einem Hocker und hat geschustert. Nägel. Alte Schuhe. Neue Schuhe. Und ich saß da und habe gewartet. Ich habe gelacht und erzählt, weil ich auch ukrainisch sprechen konnte. Bei uns kamen doch viele ukrainische Jungs rein, bei des Bauern Kuhweiden. Als Kind ist es am leichtesten.“

Regina D.

„Ukrainisch ist so eine Mischung aus Polnisch und Russisch. Ich habe auch viel verstanden, was die Oma erzählt hat.“

Willi B.

„Die haben oft Rusnaken gesagt. Aber richtige Ukrainer. Waren die richtigen Geschulten haben nicht gesagt Rusnak, die haben gesagt Ukrainer.“

Regina D.

„Aber Oma konnte auch Polnisch perfekt. Thea und Opa auch.“

„Na der Opa, also Heinrich konnte auch Ukrainisch und Polnisch. Aber der richtige Mann nicht. Der Schuhmacher nicht. Der konnte nur ukrainisch, vielleicht auch polnisch.“

Kathrin D.

„Dann haben sich Heinrich und Zosia verliebt.“

Willi B.

„Ja. Weil er hat doch keine Gesellschaft gehabt. War heraus gekommen aus dem Krankenhaus und hatte keine Gesell- schaft. Sein Freund hatte sich auch von ihm abgesagt. Der hat ihn dann auch nicht mehr angeguckt und da wusste er nicht wohin. Geh ich zur Zosia, bei dem Schuhmacher. Das war so 300, 400 m entfernt. Heinrichs Haus von dem Haus, wo Sophie gewohnt hat. Na ja. Da ist er denn immer hingegangen. Eines Tages.

Die hat auch Schuld. Beide haben Schuld. Die war doch verheiratet. Die war doch wie aus dem Ei gepellt. Ich habe schon gesagt, braune Stiefel, schwarze Stiefel, eine Weste aus Fell, schön ausgefüllt ringsum. Wie aus dem Ei gepellt. Und nur ein Kind gehabt. Nur die Thea.

Eines Tages war er vielleicht fort in der Stadt, Leder kaufen, Nägel, was weiß ich und da hat Sophie die Sachen ge- packt, Thea genommen und bei Heinrich in den Hof. Und wo er nach Hause gekommen ist, da war die Stube leer, das Kind und die Frau fort. Die hat auch Schuld. Sie hätte beim Mann bleiben müssen. Er hat sie bemuttert, hätte ich fast


gesagt, von vorne bis hinten. Der hat doch nur gearbeitet für die. Der hat nicht getrunken oder sonst was. Er hat nur gearbeitet, weil ich das kenne, ich habe doch da gesessen. Paar Jahre sozusagen im Herbst, mit den Geschwistern ihre Schuhe dort gesessen.

Dann kam die Flucht 39. Da sind die Russen reinmaschiert bei uns in unsere Gegend. Von Lemberg kamen die Russen. Bis Sanok. In Sanok ist wie die Saale hier das Wasser. Sanok war eine Garnisonsstadt, aber da war ein breiter Fluß. Der ging bis zu uns runter nachher. Naja und darauf hin hätte sie sagen müssen, ich bleibe bei meinem Mann, aber dann kam die Flucht und die ist mitgemacht nach Warthegau mit Heinrichen. Die waren noch nicht verheiratet. Der hat Schwierigkeiten gehabt, sich trauen zu lassen, weil die Ukrainerin war. Der hatte Schwierigkeiten. Das hat er selber gesagt zu meiner Mutter.“

Kathrin D.

„Das war 1939, die Russen kamen und ihr musstet fliehen, weil ihr Angst hattet, dass die Russen Euch plündern und töten?“

Willi B.

„Nee, nee. Das war damals die Abmachung zwischen Hitler und Stalin.

Kathrin D.

„Das war dann diese Umsiedlungsaktion. Nur die Galiziendeutschen, sollten in das Reich zurückgeholt werden, Uk- rainer aber nicht, oder?“

Willi B.

„Nur die Galiziendeutschen wurden in Warthegau angesiedelt. Warthegau war vom 1. Weltkrieg Deutschland. Aber viele kamen in die Stadt von unserem Dorf. Die haben in Wreschen in der Stadt gewohnt. Aber einige, wir waren eine große Familie sozusagen, wir wollten aufs Land. Da wurden wir auf dem Land angesiedelt.

Der Staschku, der kam nach Wreschen und wollte seine Frau wieder haben. Trotzdem sie geflüchtet ist mit dem Hein- richen. Aber war noch nicht verheiratet. Die ist nicht gegangen.“

Kathrin D.

„Mir fallen im Nachhinein immer noch Fragen ein.

Über Sophie und deren Eltern.

Weißt Du, was die gemacht haben? Die haben im gleichen Haus gewohnt?“

Willi B. „Ja.“

Kathrin D.

„Waren das Bauern?“

Willi B.

„Ich weiß nur. Weil im Winter, da hatten sie nichts zu brennen. Es war sehr kalt gewesen. Der Schuhmacher hat geschustert dann bei der Mutter. Das war ein ganz großes Zimmer, aber keine Dielen drinnen, Lehm gestampft. Da hatten sie einen Ofen gehabt. Da hat Sophie gesagt, jetzt an den Ofen und da saßen oben Minju, ihr Bruder und Sv- jatoslav und haben herunter geguckt, wo ich da gesessen habe bei dem Staschku, dem Schuhmacher. Da hatten sie auch eine Kuh drinnen gehabt. Eine Kuh im Zimmer, weil es so kalt war draußen. Ein Pferd und eine Kuh haben sie gehabt. Und so ein bisschen Acker. Aber er konnte auch spielen. Für Hochzeiten oder Tanz. Da war ein Pole, Schmied, der war Musikante und er, und war ein Zigeuner, der Sohn, aber die Mutter war weiß und der Vater war schwarz und der hat die Bassgeige gehabt. Und da haben die Drei, überall bei Hochzeiten, haben die Drei gespielt. Sophie ihr Vater und der Schmied, der Pole,

Aber die waren alle wie eine Familie. Jeder konnte polnisch. Jeder konnte Ukrainisch.“

Kathrin D.

„Aber nicht alle konnten deutsch.“

Willi B.

„Nee. Deutsch haben sie nicht gelernt.“



22. April 2020

Gespräch mit Peter S.
„Denn Verfall des Hauses habe ich immer schmerzlich verfolgt. Und es wurde seinerzeit an einen Schausteller verkauft, der ein Interesse offerierte, was dann doch nicht stattgefunden hat. Bedauerlicherweise. Man sieht ja jetzt wie es aussieht. Es ist an sich ein tolles Haus. Wir als Kinder haben es damals nicht gekriegt. Mein Bruder nicht und meine Wenigkeit auch nicht. Wobei ich sagen muss. Es war das Interesse noch nicht da. Da war ich vielleicht auch noch zu jung.“
„Was heißt das? War das nicht mehr im Besitz ihrer Familie?“ „Doch. Das war der Besitz der Kinder des Fritz.“
„Fritz Krähe, ihr Großvater?“
„Mütterlicherseits. Und die sind ja in den 50er Jahren, sind die rüberge- macht nach Bochum. Und ich weiß nicht warum. Ob das jetzt Bautech- nisch war, oder Firmentechnisch kann ich nicht beantworten.“
„1912 wurde das Haus erbaut. Wissen Sie, wann ihr Großvater geboren wurde?“
„Keine Ahnung. Da nichts gefunden wurde. Ich hatte noch ein paar Bil- der. Ohne Zahlen. Wo ich jetzt auch nicht so richtig weiß. Ist das Familie, ist das nicht Familie. Die Mutti mit Schwestern auch noch in jungen Jahren. Keine Jahreszahl auf den Bildern